„Wo gibt’s denn sowas?“

1. Februar 2013

Peter Royen, Foto Michael W. Driesch

Er trug zu gesellschaftlichen Veränderungen bei, seine Kunst ist von Weite und Zurückhaltung geprägt. In Düsseldorf wirkt seit 67 Jahren ein Mann, dessen Haar nun seine Lieblingsfarbe angenommen hat: der Niederländer Peter Royen. Nun sagen die Düsseldorfer Künstler Danke und ehren ihn mit dem Kunstpreis der Künstler.

Zwei Jahre lang stand in den 1940ern das heutige Haus der Royens in der Nähe des Flughafens leer, weil niemand sich dem Fluglärm aussetzen wollte. Für nur 700 DM monatliche Miete übernahm die Familie damals die Renovierung und baute u.a. Doppelverglasungen ein. Heute hängen im Eingangsbereich Bilder der drei Kinder und sieben Enkel. Es gibt viel Platz und ich habe sofort das Gefühl, einfach sein zu dürfen. In einem kleinen Erker mit Blick auf den seit 1949 verwilderten Garten, wo sich auch mal menschenscheue Füchse treffen, findet unser Gespräch statt. Peter Royen serviert mir im weißen Overall eine Tasse niederländischen Kaffee mit Schokolade und beginnt zu erzählen.

Trotz Empörung seiner Landsleute kam der Amsterdamer bereits 1946 nach Düsseldorf. Aus genau einem Grund: Otto Pankok, der an der Kunstakademie Düsseldorf unterrichtete. In Amsterdam hatte sich Royen seinerzeit nicht beworben, die Neugier trieb ihn an eine deutsche Kunstakademie, an der Professoren unterrichteten, die während der NS-Zeit politisch verfolgt worden waren und Malverbot gehabt hatten. Royen erinnert sich an seine Entrüstung und ruft fast belustigt aus: „Wo gibt’s denn so was? Malverbot!“ Was ist schon von einem Maler übrig, der nicht malen darf? „Nur, wenn man in Freiheit lebt, kann man schöpferisch tätig sein“, sinniert Royen. Er selbst habe sich nie verkauft, nie etwas anderes gemacht, um Geld zu verdienen. Lieber fuhr er damals alle Redaktionen von „Rheinische Post“ bis „Mittag“ ab, um seine Holzschnitte anzubieten. Pro Abdruck erhielt er 35 DM.

Immer noch fährt Royen Rad, täglich. Aber kein Rennrad. Ein ganz normales muss es sein – er will den Widerstand spüren. Er will spüren, dass er es ist, der sich und das Rad bewegt. Bewegung ist ein gutes Stichwort, denn auch in Düsseldorf hat er vieles nach vorn gebracht. Mit niederländischer Mentalität brach er eingefahrene Strukturen auf und setzte sich für Kooperation unter den Künstlern ein. „Holland ist ein kleines Land, ein winziges Stückchen Erde, und die Sprache spricht kein Mensch, da muss man zusammenhalten, miteinander kommunizieren.“ Mit dieser Einstellung gründete Royen das Düsseldorfer Kulturamt mit und schlug dem damaligen Kulturdezernenten Bernd Dieckmann die Vergabe von Förderpreisen vor. Die Stadtsparkasse Düsseldorf zahlte unter der Hand, ohne für sich zu werben. „Ich hab das angestoßen in Düsseldorf“, erzählt Royen stolz. Freundschaften und Kooperationen entstanden, Royen lud weiter Künstler ein, auch aus dem Ausland. 1953 gründete er die Gruppe 53. „Ein Künstler alleine hat nichts zu sagen. Wenn da sieben, acht, zehn Künstler sind, ist es auch interessanter für die Kunsthallen, Ausstellungen zu machen.“ Die erste gemeinsame Ausstellung fand kurze Zeit später, 1954, in der Kunsthalle Düsseldorf statt.

Aus jeder Aktion machte Royen mehr. Die Retrospektive, die 1993 zu seinem 70. Geburtstag in der Kunsthalle stattfinden sollte, verwandelte er in Peter Royen und Freunde: Neun junge Bildhauer lud er dazu ein. Er engagierte sich für die Einrichtung einer Künstlersozialkasse, für Ateliers für Gastkünstler sowie die Vergabe von Atelierausbauhilfe und rief die Künstlerhilfe ins Leben. Er sagt mir, dass man alles immer irgendwie zurück bekomme. Wenn man das von jemandem hört, der dieses Jahr 90 Jahre alt wird und immer noch ohne Verbitterung durchs Leben geht, klingt es sehr glaubhaft.

Royen ist seit 1984 Träger des Bundesverdienstkreuzes, was er ungern trägt („das ist doch angeberisch“), sowie Ehrenmitglied im Malkasten, für den er sich Nachwuchs wünscht. Eine weitere seiner vielen Auszeichnungen kommt Ende Februar hinzu: der Kunstpreis der Künstler. Für Royen kam er überraschend, und er freut sich sichtlich. Hauptsächlich, weil der Preis von den Düsseldorfer Künstlern und nicht von der Stadt oder einer Behörde verliehen wird.

Der Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen hat seit 1906 ein dauerhaftes Ausstellungsrecht im Museum Kunstpalast. Davon macht er jährlich Gebrauch – und richtet DIE GROSSE aus, Deutschlands größte von Künstlern für Künstler organisierte Ausstellung, bei der die Werke direkt, ohne Galeriebeteiligung, gekauft werden können. Weiterhin werden der Kunstpreis der Künstler und ein Förderpreis verliehen. Der Vorstand unter dem Vorsitzenden Michael Kortländer entschied sich für Peter Royen als Preisträger. Für sein Lebenswerk. Als ich Royen auf das Preisgeld anspreche, erinnert er sich, als hätte er auch damit nicht gerechnet. „Ach ja, jetzt kriege ich ja 5.000 €!“ Und nicht zu vergessen: eine eigene Ausstellungsfläche in der GROSSEN.

In der Malerei findet Peter Royen Stille, die wie ein Gegenpol seines aktiven Lebens wirkt. „Meine Malereien sind nichts Spektakuläres, aber sie geben die Ruhe an den Betrachter weiter.“ Seitdem er die von Pankok inspirierten Holzschnitte hinter sich gelassen hat, malt Royen monochrome Flächen, pastos aufgetragen, sodass die Strukturen unterschiedliche Farbnuancen zeigen. Die Nicht-Farbe Weiß setzte sich in seinen Werken durch. Weiß ließe alles nach draußen offen, dränge sich nicht auf, man müsse sich damit auseinandersetzen, führt Royen aus. Auch nachdem er sich kurz mit Rot und Schwarz beschäftigt und die jeweiligen Werke in der Galerie arteversum ausgestellt hatte, kam er letztendlich wieder zum Weiß zurück.

Nur gelegentlich hört man, dass Deutsch nicht Peter Royens Muttersprache ist. In Amsterdam wird er vielmehr auf seinen deutschen Akzent angesprochen. Die niederländische Rechtschreibreform von 1955 hat er nicht miterlebt, er schreibt immer noch Altniederländisch. „Einige Freunde schreiben manchmal zurück, ‚wie schön, dass Du die alte Sprache noch aufrechterhältst’. Dann schreibe ich, ‚ich kann nicht anders, ich hab das so gelernt’.“ Er lacht, wie so häufig während unseres Gesprächs.

Viele Fragen beantwortet er damit, dass es sich eben so ergeben hätte. Oder auch: „Es ist so auf mich zugewandert.“ Dabei bemühte er sich immer, auch über den Tellerrand zu schauen, sich auch von Künstlern anderer Kunstrichtungen berühren zu lassen. Am meisten inspirierte ihn der niederländische Dichter und Maler Lucebert. Mit dem Schriftsteller Heinrich Böll pflegte Royen eine jahrelange Freundschaft und lernte von ihm Menschlichkeit. Royen erzählt, dass zu Bölls Jour Fixes selbst die Bettler von der Straße eingeladen gewesen wären. „Das fiel gar nicht auf, dass das Bettler waren, weil die so eingebunden waren in diese Gemeinschaft.“ Mit Günther Grass lief es nicht ganz so harmonisch: 1946 „kloppte“ er sich mit ihm auf der Kö. Um seine heutige Ehefrau, mit der er nun seit 65 Jahren verheiratet ist. Die „Trophäe“ seines Kampfes weiß er bis heute zu schätzen. Die Frage nach dem Highlight seines Lebens beantwortet er wie aus der Pistole geschossen mit: „meine Frau. Und sie ist es immer noch“.

Werner Schmalenbach bezeichnete Royens Kunst als „Gefühl (…) für das ‚Atmen’ von allem“. Und tatsächlich konzentriert die Betrachtung seiner Werke alles auf den gegenwärtigen Moment, auf das Sein an sich. Kein Wunder also, dass Royen 1992 durch den japanischen Ausstellungsmanager Shinkichi Tajiri erfolgreich in Kobe und Osaka ausstellte. Die Japaner sagten ihm, seine Bilder hätten etwas mit Japan zu tun. Doch sie liebten ihn auch für seinen Mut, auf dem Boden sitzend mit den ungewohnten Stäbchen alles zu essen, was ihm vorgesetzt wurde. Da machte es auch nichts, dass er am Ende gar nicht mehr alleine aufstehen konnte und ihm die Beine nachgaben, weil kein Blut mehr darin war. Nach den 14 Tagen in Japan, an denen er täglich zum Essen eingeladen wurde, regte er den Austausch mit japanischen Künstlern an, der bis heute vom Düsseldorfer Kulturamt organisiert wird. Eine weitere der vielen nachhaltigen Früchte von Peter Royens Arbeit, die von unverkennbarem Weitblick zeugt. Eine Ahnung dessen lässt er uns mit seiner Kunst erspüren.

 

Museum Kunstpalast – GROSSE KUNSTAUSSTELLUNG NRW feiert 111 Jubiläum, 24.02.13 bis 17.03.13

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