Die Gäste meiner Party zum Thema Kitsch …

Die Gäste meiner Party zum Thema Kitsch …

Im Kitschroman verliebt sich die rehäugige Krankenschwester mit glänzender, kastanienbrauner Haarmähne Hals über Kopf in den Chefchirurgen, der sein Herz nach einer großen Liebesenttäuschung vor der Welt verschlossen hat. Massenhaft versorgt uns die Industrie mit rosa Federpuscheln an Bleistiften, Schneekugeln mit Glitter, Putten, Häkelhauben für Toilettenpapierrollen (teilweise sogar mit einer Barbie oben drauf), blinkenden Dekoartikeln mit Farbwechselfunktion, kleinen Schornsteinfegern im Kleearrangement, Winkekatzen und Wackeldackeln. Eine bekannte Kaffeemarke verkauft in einigen ihrer Filialen statt Kaffee lieber „Wohnfühldecken“, Fingergymnastikbälle, Teleskop-Schuhanzieher, LED-Stimmungslichter und Staubtiere. Offenbar gibt es für derartige Objekte einen absatzstarken Markt. Mit der Industrialisierung begann eben die Massenproduktion und nur mit dem Verkauf des Produzierten lässt sich die Wirtschaft ankurbeln. Jetzt, da jeder mittelständische Haushalt über die grundlegendsten Luxusartikel verfügt, muss man anders Rohstoffe verschwenden, um mittels Kaufkraft eine Steigerung unseres Luxus’ vorzutäuschen. Dabei nutzt die Industrie unseren Konflikt zwischen dem Wunsch nach maximaler Bequemlichkeit und unserem Drang, uns ununterbrochen zu perfektionieren. Mit echten Bedürfnissen hat das nichts mehr zu tun. Es ist Kitsch.

Beim sisyphusartigen Versuch, Kitsch zu kategorisieren, zeigt er sich mit einem kreativen Hang zur Grenzüberschreitung: Da wären der patriotische Kitsch (die Flagge der USA ist die sicherlich am häufigsten eingesetzte), der Revolutionskitsch (Che-Guevara-Tasse), Religionskitsch (blinkende Jesus-Statuen und knallbunte Heiligenbilder), Urlaubs-Ethno-Kitsch (kann man etwas Nicht-Kitschiges aus dem Urlaub mitbringen?), Retrokitsch (Omi lässt grüßen), der sentimentale Kitsch (Porzellanengelchen), Kontextkitsch (ein Hirschgeweih hängt statt in der Almhütte im Reihenhaus über dem Fernseher), Esoterikkitsch (Buddhastatuen in Pink oder Staub- … äh… Traumfänger). Der DUDEN definiert: Kitsch ist ein „geschmacklos empfundenes Produkt aus einem bestimmten Kunstverständnis heraus“. Moment. Geschmacklose Kunst ist Kitsch? Was für eine Steilvorlage für einen kleinen Diskurs.

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