Sex sells?

1. November 2012

Rankin: “Heidi Chocolate Eyes Shut”, 2009, © Rankin

Frauenzeitschriften werden ja nicht wegen ihres wissenswerten oder gar kunsthistorischen Inhalts erworben. Meist kaufen die Damen (und manchmal auch die Herren) die bunten Hefte wegen der Bilder. Sie zeigen eine heile Welt, bewirken mal gute Laune, häufiger jedoch Minderwertigkeitskomplexe und ein schlechtes Gewissen, weil die Tafel Schokolade gestern Abend doch noch angebrochen, erst halb, und dann ganz aufgegessen wurde. Schaut man genauer hin, drängen sich gewisse Eigenarten der Modefotografie förmlich auf. Da macht eine junge Frau eine Safari, doch kein Gramm Staub verunstaltet ihre Haut. Der Grund für ihren etwas benommenen Blick ist vermutlich das zeitaufwendige Präsentieren diverser Outfits. Eine andere Dame ist auf einer einsamen Insel gestrandet, mit nichts außer spärlichen Stofffetzen bekleidet, deren Erwerb preislich dem der kompletten Insel gleichkäme. Da soll sich noch einmal eine Frau einen Actionfilm anschauen und sich beklagen, er sei „unrealistisch“.

Wer aber möchte sich diesen lasziv-gelangweilten, vom Glamour betäubten Modelblicken aus ausgehungerten Gesichtern freiwillig persönlich aussetzen? Das erscheint doch ziemlich kräftezehrend. Der britische Porträt- und Modefotograf Rankin (eigentlich John Rankin Waddell) sieht jedenfalls nicht danach aus, obwohl er seit 25 Jahren nichts anderes tut. Wie diese extravagante Welt durch seinen Blick aussieht, zeigt das NRW-Forum in der nach Serien unterteilten Ausstellung Show off. Was Rankin unterkommt, verarbeitet er und setzt, metaphorisch, seinen Stempel drauf. Man könnte fast vermuten, dass er so die Namen für seine Magazine „Dazed & Confused“ und „HUNGER“ gefunden hat.

Bei diesem Modefotografen haben wir es mit einem sehr vielseitigen Menschen zu tun, der nie an ein einzelnes Foto, sondern direkt an eine ganze Strecke, ja an Kampagnen und grundsätzliche Konzepte denkt, auch mal über den Tellerrand schaut und bei Videoclips Regie führt. Das schützt ihn nicht vor banalen und fast schon mit der Brechstange erzwungenen Motiven wie das einer Dame, die schreckhaft-dekorativ auf dem Boden liegt, um sie herum Männerfüße in Lederschuhen. Aber es gibt auch Spannendes in seiner Ausstellung zu entdecken – und zwar neben dem Abgebildeten hauptsächlich den prahlenden Rankin in seiner ersten musealen Schau. Showing off eben. Und wer sagt, dass Angeberei nicht auch unterhalten kann?

Nein, es gibt eigentlich niemanden mehr, der nicht von Rankin fotografiert werden möchte. Für die Besucher führt das zu einem „Heiteren Promiporträtraten“. Courtney Love ist der Knaller. Promis von glamourös bis schlicht in schwarz-weiß. Heidi Klum und Kate Moss, beide enge Freundinnen Rankins, zeigen sich in ihnen gewidmeten Serien freizügig und experimentierfreudig. Seine Ehefrau Tuuli Shipster allerdings noch mehr, deren Schamlippen mit Liebesperlen verziert im Großformat zu begutachten sind.

Das bringt uns zur nächsten, nicht gerade scharfsinnigen Erkenntnis: Rankin ist ein Mann. Ein Mann mit einem gepflegten Hang zur Pornografie, der angibt, Sehgewohnheiten und Tabus brechen zu wollen. Und ein Mann, für den Frauen scheinbar alles tun und sich auch für die fotografische Umsetzung von allerlei Männerfantasien hergeben. Wir sehen sie mit diversen Flüssigkeiten überschüttet oder mit Körperfarben, vorzugsweise mit schwarzer, bemalt. Dazu gesellen sich Frauenmünder, die eine Banane essen oder weiße Flüssigkeit schlucken.

Rankin hatte keinerlei fotografische Vorbildung, als er mit 21 Jahren sein Studium der Betriebswirtschaft am Brightoner Polytechnikum abbrach und einfach begann, zu fotografieren. Er selbst sagt von sich, er habe keinen eigenen Stil. Die Ausstellung zeigt: Sein Stil ist das immer Neue und die intuitive Herangehensweise an das Motiv. Soll er seine Arbeit erklären, gelingt ihm dies nur holprig. Das Intellektuelle liegt ihm nicht so. Dafür stolpert er nervös über sein Equipment und entlockt der Queen buchstäblich ein neues Gesicht: ein lächelndes.

Jeden auf den ersten Blick noch so hinderlichen Klotz am Bein verwertet er in seiner Arbeit und leistet damit oftmals Pionierarbeit. So zeigt beispielsweise die Serie Cats von 2002 (!), was Retusche so alles kann: Die leicht behaarten Beine der in Katzen verwandelten Models wurden so bearbeitet, dass sie wie echtes Katzenhaar aussehen. Unaufgeregte Fotografien von Daniel Craig, Kirsten Dunst oder Pete Doherty kommen wiederum ohne viel Retusche aus – ebenso wie die androgynen Frauen in Breeding. Ganz natürlich, unschuldig, schwarz-weiß, ohne sichtbares Make-up. Plötzlich dann springen einem schrille, geradezu maskenhafte Porträts entgegen, wie die von Marilyn Manson oder Puppenköpfen, deren Augen einen tatsächlich anzublicken scheinen. Ein Egozocker scheint Rankin, der die Arbeit der Stylisten genauso würdigt wie die seiner Models, nicht zu sein. Manchmal ist das Kunstwerk eben schon da und er muss nur noch auf den Auslöser drücken.

Gelegentlich bleiben seine Experimente im interessanten Ansatz stecken. In One Dress lichtet er ein Kleid an unterschiedlichen Frauen ab. So sehr unterscheiden sich die Damen allerdings nicht. Man kann sie, bis auf eine Ausnahme, alle in der Rubrik „jung und schön“ unterbringen. Wie viel interessanter wäre das Projekt mit wirklich unterschiedlichen Frauen gewesen! Sowieso sind die „Normalos“ eher unterrepräsentiert. Sie exponieren sich lediglich in kleineren Serien wie Sofa so sexy.

Lieber prahlt Rankin offensichtlich mit seiner Zusammenarbeit mit Skandalkünstler Damien Hirst. Liegt hier ein kleiner, aber feiner Wunsch verborgen, der Modefotografie zu entkommen? Hinweise darauf lassen sich hinten in der Ecke, im Archiv, finden. Ursprünglich wollte Rankin Kriegsfotograf oder Fotojournalist werden. Und wie eine kleine Dokumentation dieser Glamourwelt lässt sich die Ausstellung tatsächlich auch anschauen. Nicht nur schöne, sondern auch mal durch Ermordung entstellte Models zeigt die Serie Dead Fashionable. Ebenso erfrischend anders und bezeichnend: Ein nacktes Model kauert wie ein verschrecktes Reh in einem Einkaufswagen; ein X durch Modelgesichter zeigt, wie deren Haut wirklich aussieht; eine junge Dame beißt gierig in eine riesige Tafel Schokolade, die Bluse wird am Rücken mit Klammern zusammengehalten. Das, was sie in Metroportionen zu sich nimmt, ist zugleich mitverantwortlich für ihren ausgemergelten Körper.

Und grade dann, wenn einem so viel Selbstbewusstsein fast zu den Ohren rauskommt, wird es humorvoll. Während Heidi Klum mit flüssiger Schokolade übergossen einigermaßen sexy aussieht, ist das Selbstporträt Rankins, bei dem die Schokolade über seinem verzerrten Gesicht Klum-pt, einfach nur lustig. In der Serie Me Me Me morpht er sich in Modelporträts und ganze Gruppen wie die Spice Girls, macht sich über Modelposen lustig, küsst sich selbst, zeigt sich als dicklicher Superman sowie als Vater und Sohn zugleich.

Auch die Kuratoren der Ausstellung haben es sich nicht nehmen lassen, einige Gags einzubauen. Da hängt die lächelnde Queen neben der trauten Zweisamkeit von Jude Law und Ronald McDonald – dessen Frisur der der Queen nicht unähnlich ist. Die Farbe des Union Jacks, vor dem die Königliche posiert, entspricht fast der des immer lustigen Clowns der berühmten Fast-Food-Kette. Ebenso blinkt es hier und da an ihr – was man eher in einem amerikanischen Grinsegebiss vermuten würde. Das Tryptichon wird von acht Wachsfigurenporträts, in einem Werk zusammengefasst, vervollständigt. Irgendwie scheinen alle Abgebildeten eine ähnliche Hautkonsistenz aufzuweisen …

In der Modebranche ist der Mensch selbst das Kunstwerk. Rankin fügt hinzu: „Photography is more than just standing around and looking pretty.“ Was dieses Mehr in einer Welt des Glamour sein kann, zeigt Show off eindrücklich vielseitig. Stellt sich nur noch die Frage: Ist ein Museum der richtige Ort dafür? Rankin selbst bezieht keine moralische Gegenposition zum Kommerz, sondern nutzt, was er bekommen kann, für seine Zwecke. Die Grenzen von Kunst und Kommerz sind eben fließend. Und auch das NRW-Forum schwimmt mit dem Strom. Nach der verlustreichen Sommerausstellung Polaroid Collection und dem Wegfall der Finanzierung durch die Landesregierung (immerhin 600.000 Euro im Jahr) wird es künftig ganz schön rudern müssen. Dass das Fashion- und Lifestyle-Unternehmen Breuninger nicht nur die Ausstellung sponsert, sondern auf der Homepage des NRW-Forums noch ausführlich und im Großformat für sich werben darf, ist nur der Beginn eines Balanceaktes zwischen den Ufern Kunst und Kommerz. Rankin macht das irgendwie eleganter.

 

NRW-Forum – Rankin: “Show Off”, bis 13.01.13

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