RIT: Ratlos im Tunnel

1. Juni 2011
Dennis Tyfus: eine von neun Arbeiten auf Papier, Mixed Media, 29,7 x 21 cm, Foto: Ivo Faber

Dennis Tyfus: eine von neun Arbeiten auf Papier, Mixed Media, 29,7 x 21 cm, Foto: Ivo Faber

Crossroads. Ein vielversprechender Ausstellungstitel und eine Location mit einmaligem Kunsterlebnispotenzial: KIT – Kunst im Tunnel. Kuratiert von der Deutsch-Belgierin Felicitas Rohden stellten acht junge Künstler aus Belgien und den Niederlanden aus. Im Prinzip spannend – der Besuch der Ausstellung sorgte jedoch für ein schales Gefühl von Ratlosigkeit. Und dieses Gefühl sprach sich offensichtlich herum, denn nicht viele Besucher ließen sich in der Ausstellung blicken.

Erst durch die Interviews mit den Künstlern (geführt von Astrid Wege), die sich zum Leidwesen der kunstinteressierten Besucher nur in der Pressemappe befanden, wurde so einiges klarer. Und um gleich vorweg die Leser dieses Artikels zu enttäuschen, die sich auf etwas typisch „Belgisches“ oder „Niederländisches“ gefreut haben:

Anders als angekündigt bildete die nationale Herkunft der Künstler lediglich die formale Klammer der Ausstellung. Die jungen Künstler beschäftigt zwar die Gesellschaft in der sie leben, sie bewegen sich dabei jedoch in einem internationalen Umfeld. Die weitgereiste Valérie Mannaerts versteht sich hauptsächlich als Europäerin. Auch die anderen Künstler erleben sich nicht als einer Nation zugehörig, sondern sehen sich als „Weltenbürger“ (Anouk Kruithof) oder Schnitzelesser mit Vorliebe für Moules Frites (Freek Wambacq). Rinus Van de Velde schreibt seine Texte lieber auf englisch und bezeichnet die Kunstszene als „global“. Was drei der Künstler schließlich zögernd als „typisch belgisch“ bezeichnen: Realismus (Van de Velde), ein „Gefühl fürs Surreale“ (Fia Cielen) und ein ordentlicher „Sinn für Humor“ (Ives Maes). Ein roter Faden ist das nicht gerade.

Wie auch immer sich die Jungs und Mädels nun national finden und sehen – eines haben sie gemeinsam: Sie vertrauen inneren Impulsen und ihrer Intuition, die sie auf dem Weg durch den künstlerischen Prozess führen. Dabei setzen sie sich jedoch eigenhändig Grenzen, die sie nicht überschreiten. Sei es Hedwig Houben in ihrer Performance Six possibilities for a sculpture III vom Tag der Ausstellungseröffnung – in der Ausstellung durch einen Fernsehapparat wiedergegeben, aber leider akustisch schlecht verständlich. Was so spontan aussah hatte sie zwar minutiös geplant, das Skript war jedoch aus lockeren Beschreibungen von Ereignissen und aufkommenden Gedanken während des Schaffensprozesses ihrer Arbeiten entstanden. Oder Valérie Mannaerts, die ihre durchnummerierten Skulpuren in „völliger Freiheit“ kreierte, ihnen jedoch intuitiv einen gemeinsamen Titel verlieh: You have got to be prepared if you want to try and be spontaneous. Auch bei Fia Cielen ging es um viel Gefühl: Sie suchte mit Hilfe einer Terrarium-Vitrine, in der eine netzwebende Spinne lebte, nach dem Phantastisch-Natürlichen in unserer entzauberten, rational erschlossenen Welt (Myths for the Near Future).

Ihre Kunst schenkt den Künstlern in einer Welt, die kaum mehr Strukturen kennt, eigene, subjektive Richtlinien. So verleiben sich die Künstler ein Thema ein, sie durchforsten es auf ihre Art, mit ihren Mitteln, in ihrer Weise und zeigen uns das Endprodukt. Leider haben einige von ihnen jedoch ebenfalls auf etwas anderes Wert gelegt: den Besucher möglichst ratlos zurück zu lassen. Ives Maes, der in seinen Werken einen ethischen wie politischen Aspekt integriert, kommentierte durchaus nachvollziehbar: „Wenn dieser als offenkundige Botschaft auftritt, wird er moralisch, harmlos und schlichtweg langweilig.“ Leider ist das andere Extrem auch langweilig, weil die Botschaft entweder nicht verständlich ist oder es gar keine gibt.

Zum Beispiel bei Dennis Tyfus. Zeitungsausschnitte im DINA4-Format zeigten Personen, deren Augen wie mit Tipp-Ex bedeckt wurden (9 Arbeiten auf Papier). Pupillen schenkte ihnen ein schwarzer Filzstift. Sie erinnerten an Seiten von Schulbüchern, die von gelangweilten Kindern zweckentfremdet wurden. Das Männchen seiner Videoarbeit in gelb demonstrierte vielleicht deshalb eine ähnliche Teilnahmslosigkeit wie apathisch dreinblickende Schüler.

Freek Wambacq präsentierte ebenfalls ein … apartes Werk. Rotkohl, ein Hackebeil und Stahlbetonplatten, die aussahen wie Steaks (Indiana Jones). Die riesige monochrome Leinwand dahinter bestach durch – Rot (Backdrop II). Und stach sich mit dem lila Rotkohl. Die Hommage an Malewitsch Braille – Malevich (Blindenschrift hinter Glas!) „erklärte“ schließlich, was es damit auf sich hatte. Es ging darum, den symbolischen Gehalt auszumerzen. (Würde der Künstler die Frage, ob der Besuch der Ausstellung sinnvoll ist, deshalb freimütig mit „nein“ beantworten?)

Anderen Werken gelang es dann aber doch, Bedeutung zu vermitteln. Haufenweise Papiere und Fotografien, plakative Nebenprodukte unserer dokumentieraffinen Gesellschaft, ließ Anouk Kruithof in einem Video zerschreddern (Everything is a metaphor). Meditativ war es dabei zuzusehen, wie diese Papierschnipsel munter in der Luft herum flogen, um auf einem Berg Artgenossen zu landen. Weiße Blätter warteten förmlich darauf, beschriftet zu werden. Eine treffende Umsetzung unseres heutigen paradoxen Dilemmas, gleichermaßen Vergangenheit und Zukunft zu huldigen und alles akribisch zu dokumentieren ohne die Gegenwart außer Acht zu lassen.

Ehrlich imposant waren die drei mannshohen Kohlezeichnungen von Rinus Van de Velde (A Tryptich of Questions) – die begleitet wurden von einem schriftlich festgehaltenen Streitgespräch (zwischen ihm und seinem inneren Kritiker?). Es ging gut zwischen den beiden aus – in einem Pub mit alkoholischem Getränk. Vielleicht lässt sich Van de Velde sonst auch bei letzterem inspirieren, während er willkürlich ausgesuchte Bilder aus Internet und Zeitschriften, die noch nicht mit allgemeingültiger Bedeutung belegt sind, kombiniert und dann künstlerisch verarbeitet.

Die räumliche Klammer, die die ausgefallene Architektur von KIT – Kunst im Tunnel unterstrich, bildeten jeweils an einem Ende des Tunnels zwei Werke von Ives Maes (UK Pavilion [Shanghai Expo 2010] und HKW [Interbau 1957]). Mit spitzfindigen Fotografien verbliebener Exponate aller Weltausstellungen seit der Ersten im Jahr 1851 will er, übrigens mit wissenschaftlichem Anspruch, utopische Zukunftsvisionen und Träume vergangener Zeiten und deren architektonische Überbleibsel zeigen und aufarbeiten.

Diese jungen Künstler möchten etwas Neues, Eigenes erschaffen. Sie untersuchen ihre eigene Subjektivität; sie verfremden Repräsentationen gesellschaftlicher Strukturen, sei es durch Medien- oder Formatwechsel oder neue Bezüge und Zusammenstellungen. Sie interessiert, welche subjektiven Strukturen aufgebaut wurden, um die Welt zu rationalisieren – und entwickeln ihre eigenen, zum Teil befremdlichen, zum Teil interessanten Gedanken dazu, die durchaus auch weiterführen. Man sollte jedoch meinen, dies sei nicht ausschließlich ein Charakteristikum junger Künstler aus Belgien und den Niederlanden. Vielmehr ist dies eine sehr beliebte Fragestellung (junger) Menschen weltweit.

Fazit: Interessanter Ansatz; seine Umsetzung und die Kunstwerke sprachen den Kunstfreund jedoch nur unzureichend an. Zu einem Besuch wäre nur mit Begleittext zu raten gewesen. Andernfalls drohte Ratlosigkeit im Tunnel.

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