Leere Bühne

1. April 2011

Der Schauspieler gibt alles. Seine Gefühle materialisieren sich geradezu auf der Bühne und erfüllen sie. Das ist auch nötig. Denn der Rest der Bühne ist leer.

Kontroverse Diskussionen um Strukturveränderungen im kulturellen Sektor – oder anders: Kürzungen der freiwilligen Leistungen und damit auch des Kulturetats – sind immer wieder an der Tagesordnung. Die einen sehen nicht ein, warum ihre Steuern in die Selbstverwirklichung überdrehter Regisseure und deren Produktionsteam fließen sollen. Die anderen betrachten Kultur und damit auch die Bühnen und darstellenden Künstler als bedeutende Bestandteile einer lebenswerten Gegenwart.

Fakt ist: In 2011 tritt die im Grundgesetz verankerte Schuldengrenze in Kraft. Laut einer Umfrage der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. über die Situation der kommunalen Kulturfinanzierung gaben die Städte über 100.000 Einwohner in NRW an, dass letztes Jahr 41 % des Kulturetats gekürzt wurde, 2011 werden es voraussichtlich 59 %. Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise tun das Übrige. Dabei sparen die Bühnen wo sie können; mangelnden Einfallsreichtum kann man ihnen dabei wirklich nicht unterstellen. Viele gehen trotzdem zugrunde.

Zweiter Tag des Rundgangs in der Kunstakademie Düsseldorf: Die Bühnenbildklasse stellt im zweiten Stock aus. Auch durch ihren Raum schlendern Menschen – schnell sind diese aber auch wieder draußen. Irgendwie fehlt ein Element; die Kunstform wirkt einfach nicht in Verbindung mit ihrem Zweck: Den Betrachter im Rahmen einer Inszenierung in eine Welt hineinziehen, die das theatralische Werk räumlich interpretiert.

Grundidee des stark auf Kunst ausgerichteten Bühnenbildstudiengangs der Akademie ist es, den künstlerischen Gedanken eines Theaterstücks räumlich zu übersetzen und eine Abbildung des Leitmotivs zu erschaffen. Viele Fertigkeiten muss ein Bühnenbilder dabei beherrschen: dramaturgisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Wissen um Materialien und ihre Beschaffenheit, Modellbau, technisches Zeichnen mit und ohne PC, Mode- und Textildesign, Werbegraphik, zimmern, schreinern – um nur einige zu nennen.

Aber wozu brauchen wir diese Kunstform, die von Kino und seinem Szenenbild bei weitem überholt worden ist? Es geht ja sowieso kaum jemand mehr ins Theater oder in die Oper, es sei denn, es ist die 100ste Shakespeare-Inszenierung einer guten Bühne. Musicals, private Produktionen, Shows auf Tournee und feste Konzepte à la Lloyd Webber sind reißerischer, populärer. Die Bühnenbildklasse, an der Kunstakademie eher mit einer Sonderposition versehen, muss allerdings irgendetwas an der Entwicklung eines Bühnenbilds faszinieren. Nicht umsonst setzten sich bei der Aufnahmeprüfung die 30 Talentiertesten und Ehrgeizigsten von ihnen gegen 800 Bewerber durch. Die Studierenden sind überzeugt: Man braucht Kunst, um gesund zu bleiben. Unsere Geschichte verstehen zu können. Mit Kunst werden Mythen erschaffen. Fraglich ist allerdings, ob ihr Studiengang sie auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

Rolf Bolwin, Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, rechnet im Netz für alle nachlesbar vor, wie die deutschen Theater sich durch Personalabbau, das beste Mittel zur Kosteneinsparung, retten. Der Trend geht weg vom Ensemble hin zu projektbezogenem künstlerischen Schaffen. Und weiter schreibt er in seinem Artikel „Theater und Orchester gestern, heute, morgen. Eine Welt der Kunst in Zahlen“ für das Jahrbuch für Kulturpolitik 2010: „Mit immer weniger Mitarbeitern wird immer mehr produziert“. Dies betrifft nicht nur Angestellte der Verwaltung, die sich verhältnismäßig leicht eine neue Beschäftigung in anderen administrativen Bereichen suchen können. Es sind meist die auf einen Berufszweig ausgerichteten Künstler wie die Bühnenbildner, die am meisten unter den Kürzungen leiden. Theaterwerkstätten werden geschlossen. Bühnenbilder der großen Shows werden im Osten entworfen und nicht selten auch angefertigt. Statt Bühnenbilder zu bauen werden Filme auf Leinwand projiziert.

Zugegeben, manche Inszenierungen sind schwach(-) und unsinnig. Viele laut, seltsam, nicht fassbar. Aber in welcher Kunstrichtung gibt es keine schwarzen Schafe? Und seit wann werden Steuergelder ausschließlich effektiv und mit Zustimmung aller eingesetzt? Da gibt es weitaus sinnlosere Investitionen als kulturelle Veranstaltungen. Aber um wieder auf Arbeitsplätze zu sprechen zu kommen: Eine Inszenierung ist eine Multitasking-Herausforderung. Sänger, Schauspieler, Tänzer, Techniker, Statisten, Putzfrauen, und nicht zuletzt das Regieteam – inklusive der hier vorgestellten Bühnenbildner – arbeiten gemeinsam an einer Vor-Stellung für ihr Publikum. Die Ergebnisse dieser komplexen Teamarbeit sind vielfach aktuell, packend, verursachen Gänsehaut und lassen den Zuschauer gedankenvoll nach Hause gehen. Und wer schon einmal eine Tanzdarbietung, ein Konzert, ein Theaterstück zuerst live und anschließend noch einmal als Aufzeichnung gesehen hat, weiß: Es ist einfach nicht dasselbe; ein Element fehlt. Nicht umsonst entwickelte der Film nach seinen Anfängen mit statischer Kamera und regungslosem Blickwinkel seine eigene, mobile Technik. Zentrales Element der darstellenden Künste dagegen ist, im Gegensatz zu vielen ande- ren Kunstformen, der unmittelbare menschliche Kontakt. Eine Qualität, die gerade in unserer technisierten Welt absolut im Rampenlicht stehen sollte.

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