Überzeugungstäter

1. Oktober 2013
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Gregor Jansen, Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, Foto Michael W. Driesch

Die Kunsthalle Düsseldorf bietet ihren Besuchern einen aparten Anblick. Ganz ehrlich, der Bau der 1960er-Jahre ist von außen nicht gerade reizend und ich habe mich schon häufig gefragt, was man brutalistischer Architektur, die so gar nichts Schönes an sich hat, abgewinnen kann. Nun habe ich einen Menschen getroffen, dem das möglich ist – und der sogar auf eine unaufdringliche, staunende Art feststellt, dass „dieser Betonbunker einer der schönsten Ausstellungsräume in Deutschland“ ist.

Es wird sicherlich nicht nur an dieser Überzeugung gelegen haben, dass Gregor Jansens Vertrag als Direktor der Düsseldorfer Kunsthalle schon nach einer Amtszeit von dreieinhalb Jahren, also 1,5 Jahre vor Ablauf seines Vertrags, um weitere fünf verlängert wurde. Reine Formalität, so scheint es, wenn er davon erzählt, wie er in der diesjährigen Sommersitzung des Aufsichtsrats zwecks Planungssicherheit das Thema ansprach und prompt die Verlängerung in der Tasche hatte.

Obwohl es damals nicht unbedingt nachvollziehbar war, wollte Gregor Jansen im Jahr 2009 nach nur vier Jahren seine leitende Position im großflächigen Museum für Neue Kunst Karlsruhe aufgeben und nach Ulrike Groos Direktor der Kunsthalle Düsseldorf werden. Er vermisste das Rheinland und seine „offene Direktheit“. Und er hatte die Kunsthalle schon seit seinem ersten Besuch als 16-Jähriger ins Herz geschlossen. Die Zusage des Hauses kam für ihn halb überraschend, Jansens internationales Programm mit dem Schwerpunkt auf asiatische Kunst hatte den Aufsichtsrat jedoch überzeugt.

Dabei trat Asien erst im Jahr 1999 in sein Leben. 1998 hatte sich Jansen in Aachen als multifunktionales Ausstellungssekretariat für den Sammler Wilhelm Schürmann und dessen Ausstellung Entropy at Home betätigt. Wolfgang Becker, damaliger Direktor des Ludwig Forum für Internationale Kunst, überzeugte Jansens Arbeit und er heuerte ihn für die von seinem Museum initiierte Dreiländereck-Ausstellung Continental Shift (2000) an. Jansen sollte die Sparte Japan/Korea übernehmen, es ging um Einflüsse anderer Kontinente auf Kunst in Europa, den Künstler als Nomaden, die Jahrtausendwende, große Epochen. Ihm war das anfangs eine Nummer zu groß – vor allem aber hatte er keine Ahnung von asiatischer Kunst. Er sagte trotzdem zu, lernte daraufhin u.a. den jungen Murakami Takashi und Nara Yoshitomo kennen und reiste zum ersten Mal nach Japan. Zwei Jahre später lud ihn ein befreundeter koreanischer Künstler ein, auf der Medienkunstbiennale Media City Seoul mitzuwirken. 2005 kuratierte Jansen dann für das gemeinsam von der Kulturstiftung des Bundes und dem Goethe-Institut Peking initiierte Stipendiatenprogramm „Beijing Case“ und lebte vier Monate in Peking. Eindrücklich schrieb er in einem Text für die Kulturstiftung: „Die Hauptstadt des bevölkerungsreichsten Landes der Erde ist eine faszinierende, erschreckende, wunderbare, rasante, kraftvolle, unbeschreibbare, packende und abstoßende Horrorvision einer virtuellen Utopie des beginnenden dritten Jahrtausends.“ Während unseres Gesprächs stellt er fest: „Irgendwann ist man interessanterweise ein Experte für Asien.“ Dabei schmunzelt er und findet es selbst lustig, weil Asien ja doch ein relativ großer und komplexer Kontinent ist. Er habe ein Faible, kenne sich aus – konkretisiert: in japanischer, koreanischer und chinesischer Kunst –, aber als Experte müsse man die Sprachen sprechen. Wenige Westler könnten das. Aber die kenne er eben. 2011 zeigte die Kunsthalle die Gruppenausstellung japanischer Künstler THE GROUP 1965 – We are boys!; 2012 folgten die koreanische Künstlerin Koo Jeong A. und die Chinesin Yin Xiuzhen – deren Namen Jansen, wie er zugibt, auch nicht hundertprozentig korrekt aussprechen kann. Für 2015 ist eine weitere Ausstellung chinesischer Künstler geplant.

Vorausgesetzt, das Budget reicht. Gregor Jansen spricht von anderen Bedingungen, die ihm anfangs versprochen, jedoch nicht eingehalten wurden und ist sichtlich enttäuscht vom aktuellen Etat der Kunsthalle. Ich nenne ihm den Betrag von 1,33 Millionen Euro – die Summe, mit der diese laut „WZ“ vom 30.11.09 im Jahr 2010 wirtschaften musste. Damals galt dieser Betrag bereits als „geschrumpft“. Jansen ist verlegen, der aktuelle Etat liege deutlich darunter. Die entsprechende Pressemitteilung der Stadt Düsseldorf vom 14.11.12 lässt jedoch eindeutig andere Schlüsse zu. Kulturdezernent Hans-Georg Lohe wird darin wie folgt zitiert: „Auch im kommenden Jahr (i.e. 2013, A.d.R.) werden die Aufwendungen der Stadt Düsseldorf für den Kulturbereich (ohne Volkshochschule und Musikschule) wiederum bei rund 113 Millionen Euro liegen. (…) Düsseldorf verfügt über ein exzellentes Kulturangebot, das in den vergangenen Jahren stetig ausgebaut und qualitativ verbessert wurde.“ Auch wenn diese Aussage unter Zuhilfenahme komplexer rechnerischer Verfahren doch stimmen könnte, für die Kunsthalle bedeutet die Budgetkürzung u.a. eine Reduzierung auf nur drei Ausstellungen in 2014 – die dann länger als üblich laufen.

Gregor Jansen punktet mit Lockerheit, aber durchbeißen kann er sich auch. Fragen, sogar Stichworte, beantwortet er routiniert und ausführlich. Er, der 2010 eine Laudatio für Ai Weiwei gehalten hat, sagt Dinge wie: „Ai Weiwei ist Weltstar, weil er Dissident ist. Sonst würden ihn viele weitaus weniger ernst nehmen.“ Von Anfang an war der Kunsthistoriker darauf angewiesen, Geld zu verdienen, und zwar nicht nur für sich. Sein erstes von drei Kindern wurde geboren, als er 25 Jahre alt war; das war 1991, sieben Jahre bevor er seinen Doktorgrad erhielt. In diesem Prämierenjahr kuratierte Jansen auch seine erste Ausstellung. Als Mitglied der Fachschaft betreuten er und drei weitere Kommilitonen im Auftrag ihres Professors Hans Holländer die Schau von gleich zu gleich im Aachener Ludwig Forum. Sie stellten drei Kunststudenten vor und gaben zum ersten Mal Interviews, eine Pressekonferenz, kümmerten sich erstmalig um Leihgaben und einen Katalog. Die Medien beachteten sie jedoch kaum – und so entstand in Jansen der Wunsch, künftig journalistisch zu arbeiten, was er dann auch ab 1995 zehn Jahre lang tat. Er schrieb u.a. für „Westzeit“, „springerin“, „Das Kunst-Bulletin“, „Metropolis M“, „Parkett“, „Blitzreview“ und die „TAZ“.

Journalismus sei immer subjektiv und kratze an der Oberfläche, wie in jedem Bereich, kommentiert Gregor Jansen. Er habe sich trotz seines Wissens darum, dass man einer Sache nie gerecht werden kann, der Aufgabe stellen wollen – weshalb es Künstler gebe, die heute noch böse auf ihn seien. In der Kunstkritik habe er statt zu beschreiben immer härter werden und tatsächlich Urteile fällen wollen. Für Katalogtexte schreibe er dagegen eher freier, literarischer. In fast jedem Themenkomplex argumentiert Jansen auf Basis einer offensichtlich tiefen Überzeugung, dass die Welt nur in unserem Kopf existiert, jeder sie auf seine Weise interpretiert und dass es keine Objektivität gibt. Konsequenterweise nimmt er immer wieder andere, auch ungewöhnliche Blickwinkel ein. 1996, als viele noch nicht einmal einen PC besaßen, organisierte Jansen die internetbezogene Gesprächsreihe „Netzkultur<en> I-V“ in der Aachener Raststätte. Für Künstler und Galerien übernahm er die Hängung der Kunstwerke und erlebte, wie Künstler manchmal um Zentimeter ringen. Den Dialog mit Künstlern zieht er demjenigen mit Büchern vor, seit 1992 beschäftigt er sich daher fast ausschließlich mit Gegenwartskunst. Jansens Ausstellungen haben häufig Bezüge zu Nachbardisziplinen wie den Naturwissenschaften. Er vertritt einen erweiterten Kunstbegriff, arbeitet experimentell und setzt Kunst in ihren gesellschaftlichen Kontext. Seine Dissertation schrieb er über den Maler Eugen Schönebeck, der mit ihm allerdings immer nur über die Natur reden wollte. Jansen fügt, nachdem er an seiner Zigarette gezogen hat, hinzu: „Natur ist aber das, was wir dafür halten. Die Natur an sich gibt es nicht.“ Dem selbsternannten „Bergfreak“ geht es gut, sobald er in die Sichtweite von Bergen kommt. Und er lässt sich zu der Aussage hinreißen: „Allein der Blick in den Himmel lässt einen dumm zurück. Diese Konfrontation mit dem Nichtverstehen bzw. dem Nichtwissen war wohl der Grund, seit der Höhlenmalerei bis heute, unsinnigen Stuss in die Welt zu setzen. Und der ist unsagbar toll.“

Mit diesem „tollen Stuss“ bespielt er nun vorerst bis 2019 die Kunsthalle. Und auch hier genießt er die Möglichkeit, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen: Die Empore, die ein Kurator auch als Stein im Schuh empfinden könnte, bezeichnet er als traumhaft und schätzt sogar die Lage der Kunsthalle mitten in der Stadt, zwischen Kunstakademie, Kirche, Oper und Rathaus zwar, aber eben auch mit den Nachteilen inmitten des Partymülls der Altstadt am Morgen. Zur Quadriennale wird er mit der Ausstellung 2084 (in Anlehnung an George Orwells „1984“) die Frage stellen, was wir von der Zukunft erwarten können und welche Faktoren, über die wir keine Macht (mehr) haben, uns beeinflussen – von der NSA über Logarithmen bis zu unserem eigenen Handy. Jansen stellt sich für die Kunsthalle eine Art Future Lab vor. Mal sehen, um welche Perspektive wir reicher werden.

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