Kolumne-Anke-ErnstDer Wunsch nach zeitgenössischer Schönheit führte mich vor Kurzem zu einem spacigen Hairstylisten. Das heißt: Friseur. Ich wurde von einem Menschen mit exzentrischer Haarpracht zuvorkommend begrüßt, durch eine raumschiffartige Empfangshalle geführt und in eine unbequeme Kapsel gesetzt – ähnlich der Sitzgelegenheiten im Rekrutierungsraum der „Men in Black“. Dort akklimatisierte ich mich mithilfe von Kaffee und individualisierter Lektüre in Form eines iPads.

Ästhetik liegt mir nicht gerade fern, aber mein Hairdresser-to-be war entschieden anderer Meinung bezüglich derjenigen meines Haares. Als er dann erfuhr, dass ich keinen Föhn besitze, fielen seine Gesichtszüge in sämtliche Richtungen. Ich hingegen wunderte mich, übrigens nicht zum ersten Mal, dass es Friseure im Allgemeinen persönlich nehmen, wenn man die eigenen Haare (Teil des eigenen Körpers), nicht ihren (denen des Friseurs) Ansprüchen entsprechend behandelt.

Während die sogenannte Wellnesspflegekur mein Haar und der mir servierte Wein meinen Geist durchwirkten, ließ ich den Blick über die stylishe Innenarchitektur schweifen. Cleanes Design, Dinge ohne konkrete Funktion, Alkohol, provozierte Menschen – es war fast wie bei einer Ausstellungseröffnung! Gut, der Vergleich hinkt etwas. Mein Haar fällt nicht unbedingt unter die Kategorie Kunstwerk, auch wenn es zu Eigendynamik fähig ist. Aber diese Empörung, diese emotionale Beteiligung, begeisterte und entsetzte Schreie, entgleisende Gesichtszüge – von ähnlichem Verhalten hatte ich grade im Zusammenhang mit einer Vernissage gelesen. Da hatten sie sogar versucht, einem Gemälde die Farbe abzukratzen. Ein Kritiker hatte sich aufgebracht mokiert, ein Eimer voller Farbe sei in das Angesicht der Öffentlichkeit geschleudert worden.

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