„Blanker Mist!“
Hans-Jürgen Hafner, neuer Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, Foto: Michael Willy
Man macht einfach so mal ´ne Ausstellung. Why not?“ Die Auswahljury des Vereins hat sich schließlich einstimmig aus 60 internationalen Bewerben für ihn entschieden. Hans-Jürgen Hafners erste Ausstellung als neuer Leiter ist seit dem 4. Februar im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen zu sehen: die englische Künstlerin Josephine Pryde mit Miss Austen Enjoys Photography. Es geht vordergründig um Meerschweinchen und Fotografie, vielleicht Literatur. Und dann doch um etwas ganz anderes.
Konventionen, Traditionen, Rituale – sie springen nicht immer sofort ins Auge, wirken aber unermüdlich und lassen so eine Gesellschaft funktionieren. Was aber passiert, wenn dieser sinnvolle Rahmen inhaltsleer geworden ist und nicht mehr konstruktiv arbeitet? Wer merkt das überhaupt und wie? Hier setzt Kunst an, im besten Fall mit der radikalen Energie der Veränderung.
Wie beispielsweise 1829, als der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen unter Wilhelm von Schadow gegründet wurde. Die neu entstandene Gesellschaftsschicht, das Bürgertum, fand in dieser, einer ihrer ersten institutionellen Form, die Möglichkeit, sich als Klasse zu definieren und der neuen Gesellschaftsschicht ein Gesicht zu geben. Die Kunst und die Rituale, die um den Kunstverein herum entstanden, schafften ihr Platz und Gehör. Dazu brauchte es Selbstbewusstsein und ebenjener Energie.
Wenn Zeit vergeht, etabliert sich das Neue. Es kann jedoch auch starr werden wenn man nicht aufpasst. In den letzten 183 Jahren ist der Kunstverein zu einer traditionell etablierten Institution geworden und hat so einiges erreicht: Auch dank der Kunstakademie werden in Düsseldorf künstlerische Tradition und das Selbstverständnis der Künstler als wichtigen Teil der Gesellschaft anerkannt. Anderswo ist das sicher schwieriger.
Im September 2011 löste Hans-Jürgen Hafner (*1972) als neuer Leiter des Kunstvereins Vanessa Joan Müller ab, die sich hauptsächlich der Konzeptkunst gewidmet hatte. „Der Neue“ ist kein Kunsthistoriker („Kunstgeschichtler suchen ja immer den ersten Baum, oder so. […] Oder den ersten Hirschen, der sich ohne den heiligen Hubertus auf einem Bild verirrt. Das ist mir relativ egal“), sondern Literaturwissenschaftler und Historiker, darüber hinaus Kunstkritiker, gelegentlich D.J., er begann über Kunst zu schreiben, weil sie ihn mehr als alles andere interessierte und man ihn „gelassen hat“, ihm reicht ein Einblick in die Kunstszene, den Überblick braucht er nicht – er geht einfach mitten durch – und er sagt offen, vieles der zeitgenössischen Kunst sei „„blanker Mist“. Unabhängig davon, dass er damit wahrscheinlich Recht hat, es sei eine kleine Anmerkung erlaubt: Der Verein hat sich der Vermittlung genau dieses „Mistes“ verschrieben. Vielleicht möchte Hafner deshalb auch nicht übermäßig vermitteln: „Ich wäre jetzt gegen einen Exzess der Vermittlung, der quasi einem potenziellen Publikum ein potenzielles Angebot hinterher trägt. Oder einem Publikum ein Programm auf den Leib schneidert und mit Vermittlungsangeboten das Zusammengeschneiderte dann auch noch auf den Leib näht. […] Ich glaube, dass die Kleider nicht lange halten.“
Auf seine Ausstellung bezogen fällt sein Kommentar so aus: „Die Ausstellung ist gut.“ Dann: „Man sieht ja, was es da gibt.“ Letztendlich holt er jedoch aus, um die einzelnen Komponenten, die sie ausmachen, zu erläutern. Sie sei eine Behauptung, die aus unterschiedlichen Bestandteilen aufgebaut ist. Und das Ergebnis seiner individuellen Art, Fragen zu stellen. Er trifft entweder eine Aussage, wie sie jeder formulieren könnte, oder setzt zu einer komplizierten, abstrakt-theoretischen Ausführung an.
Klar wird jedoch im Laufe des Gesprächs, dass ihn Bewegung mehr interessiert als der Ist-Zustand. „Wenig ist, alles wird“ – für ihn ist die Gegenwart ein Projekt und Kunst das Mittel, sich mit ihr auseinander zu setzen. Kunst ist unmittelbar, „hochgradig gemacht“, wie Hafner ausführt, und habe ein „hohes emanzipatorisches Potenzial“. Auch über Musik hat der Kunstkritiker geschrieben, aber die Strukturen dort seien starrer, sagt er bedauernd. Er erzählt fast ein bisschen nostalgisch, wie zu seiner Studentenzeit in den 1990ern so einiges noch nicht genau definiert war. Die Grenzen zwischen Clubkultur und künstlerischer Aktivität seien damals fließend gewesen. Hafner interessieren heute immer noch Rituale, die die Gesellschaft regulieren und diejenigen, die nur noch vertrauensselig und mechanisch ausgeführt werden und somit ihren ursprünglichen Sinn verlieren. Kunst, die ihn fasziniert, hinterfragt diese Mechanismen.
Die Institution, die einst gegründet wurde, um dem Bürgertum eine künstlerische Stimme zu verschaffen, wird also seit September 2011 von Hans-Jürgen Hafner geleitet. Von einem Mann, der seinen Beruf als unabhängiger Kritiker offensichtlich geliebt hat, der etablierte Strukturen nicht besonders schätzt und gerne infrage stellt, der sich nicht in die Karten gucken lässt und sich notfalls in abstrakten, eloquenten Theoretisierungen verliert.
Es ist ein schmaler Grat zwischen einem erfrischenden, selbstbewussten „Ab-durch-die-Mitte-Handeln“ mit einer auch geschichtlich begründbaren Energie der Veränderung und abgehobener, vielleicht überheblicher Ausstellungsmacherei. Vor dem Hintergrund, als Leiter eines etablierten und traditionsbewussten Kunstvereins zu agieren, scheint dies dabei ein Unterfangen, das irgendwie surreal daher kommt. Auf jeden Fall aber reizt es, die Entwicklung des Kunstvereins weiter zu beobachten.
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