Backdoor Fantasies

1. Juni 2014
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Ludger Gerdes: “Angst” (Ausstellungsansicht Kai 10), 1989, Neoninstallation, ca. 180 x 700 x 32 cm, Courtesy Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Foto Alexandra Höner, © VG Bildkunst, Bonn 2014

Wenn ich die Augen ganz fest schließe, sieht man mich dann? Wenn ich ununterbrochen arbeite, kann die Angst mich dann umklammern? Kann ich anblicken, ohne selbst gesehen zu werden, obwohl ich verberge? Im Rahmen der Pressepreview der Ausstellung Backdoor Fantasies von Kai 10 | Arthena Foundation spazieren wir bei fantastischem Wetter über die Brücke am Hafen. Der Künstler Jan Hoeft erzählt mir, dass er vor einer Stunde auf derselben Brücke Katja Riemann bei einer Drehpause beobachtet hat. Die grauen Anzugträgerinnen und Anzugträger, die hektisch an mir vorbei eilen, erinnern mich daran, dass mir die berufliche Beschäftigung mit grundlegenden Fragen unserer Existenz vergönnt ist. Ebenfalls fantastisch.

Die Ausstellung stellt die eingangs genannten Fragen – und zwar im weitesten Sinne, emotional wie geografisch – und beantwortet sie auf erfrischende Weise in einer Kombination von Kunst und Standort. Sie wendet sich dabei nicht nur die Besucher, sondern auch an den Medienhafen mit der Idee, für die er steht. Ihm hat Düsseldorf sein Bevölkerungswachstum und seinen Wohlstand im 19. Jahrhundert zu verdanken. Noch heute steht im Düsseldorfer Wappen der Anker für die Stadt, die den drittgrößten Binnenhafen Deutschlands vorweisen kann – seit den spektakulären architektonischen Umbauten fungiert dieser ebenfalls als Touristenmagnet. Industrie, Logistik, Mode- und Designerbetriebe sowie die Medien- und Werbebranche haben sich niedergelassen und verkörpern dabei die gewinnbringenden Branchen der Gegenwart. Nach Feierabend erscheinen die Gäste der Clubs, Lounges und Restaurants. Hotels bieten Reisenden Unterkunft. Kaum jemand wohnt hier tatsächlich: Es herrscht die niedrigste Bevölkerungsdichte Düsseldorfs.

Um die vollständige Ausstellung zu entdecken ist Bewegungsfreude gefragt. Neben den Räumlichkeiten von Kai 10 werden weitere Orte bespielt und auf diese Weise einmalige Blickwinkel von und durch Kunst auf den Hafen und seine Werte ermöglicht. Dazu zählen das Hafenbecken, das ausgeräumte Hotelzimmer 821 des Courtyard by Marriott, Räume bei Tigges Rechtsanwälte, das Grand Bateau und der Bürgerpark.

Die grellbunten Kunststoff-„Flossis“, die an den Hafenfassaden klettern, sind bestenfalls dekorativ – ihnen gegenüber, an der Fassade von Kai 10, blinken zwischen einem roten Golfspieler und einer blauen Kirche die gelben Lettern des verstorbenen Künstlers Ludger Gerdes: Angst (1989). Von dort aus sieht man wiederum die Videoinstallation von Jan Hoeft. Das Begriffspaar „Exit Strategies“ stammt zwar aus der Businesssprache, doch die gleichnamige Arbeit (2014) zeigt ganz konkrete Fluchttreppen aus öffentlichen Gebäuden. Die dramatischen Kameraschwenks der Drohnen sowie die Tonspur kündigen an: Gleich könnte etwas passieren, die Menschen würden panisch hinausströmen und versuchen, ihr Leben zu retten. Was wäre, wenn? Doch es bleibt angespannt ruhig. Die hart arbeitende Bevölkerung am Aufbau von Kommunikationsstrukturen der anderen Art bleibt gelegentlich kurz vor der Leinwand stehen und geht dann weiter. Sind ja nur gefilmte Treppen.

Bildende Kunst mit heißen Sommertagen zu verbinden ist nicht einfach. Kai 10 hat es jedoch geschafft, im Hafen einen besonderen Kunstparcours zu kuratieren, der den Besucher berührende Erfahrungen machen lässt, buchstäblich seinen Blick verändert und ihm unbekannte Atmosphären des Hafens eröffnet. Daumen hoch für den mutigen Schritt vor die Tür. Vollkommen gelungen.

 

Kai 10 | Arthena Foundation – Gruppenausstellung: Backdoor Fantasies, bis 10.08.14

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