„Pankok bedeutet Pfannkuchen“, „jeden Tag vor der Schule habe ich Goethe, Schiller und Thomas Mann gelesen“, „Conchita Wurst hat gewonnen, weil sie irritiert“, „ich habe versucht, die Seerosen von Monet abzumalen, aber das konnte mir als 14-Jähriger natürlich nicht gelingen“, „Borcherts Küchenuhr war meine Welt“. Als ich das Gespräch mit dem persisch-deutschen Künstler Cyrus Overbeck (*1970) beginne, muss sich mein Geist erst einmal auf die Geschwindigkeit, mit der Zitate, Namedropping, Anspielungen und kluge Gedanken aus seinem Mund geschossen kommen, gewöhnen. Ich erwäge kurz, ob dieser Mann einer jener Menschen ist, die ihr Halbwissen in konzentrierter Schnelligkeit verbreiten, ohne einen eigenen Gedanken von sich zu geben. Doch im Laufe des Gespräches wird klar:

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Cyrus Overbeck, Foto Michael W. Driesch

Overbeck spricht gerne und ausschweifend, hat jedoch selbst nachgedacht. Er ist belesen, spürt einen inneren Drang, sich aufrichtig mit der Welt zu beschäftigen, er begegnet sich selbst und schreckt auch nicht vor dunklen Schatten zurück. Seinen ununterbrochenen Zigarettenkonsum könnte man darauf zurückführen, dass er das nackte Leben spürt und etwas braucht, das ihn ablenkt. Vielleicht raucht er aber auch einfach nur gerne.

Obwohl Overbeck anderen Künstlern mit Demut begegnet, ist er weder ein Mensch, der mit seinem Wissen hinter dem viel zitierten Berg hält, noch einer, der sich sonst wie bescheiden versteckt. „En passant“ habe er den Holzschnitt revolutioniert, indem er das Papier durch Auftragen mehrerer Schichten in das Manifeste verwandelt. Der Druck mit dem starren Holz wiederum erfolgt in weißer Farbe, wodurch das eigentlich Schwere flüchtig wirkt. Er hat eine Radierpresse, die Formate bis 240 Zentimeter Länge drucken kann, in Auftrag gegeben, jahrelang zusammen mit Jürgen Zeidler mit Steindrucken experimentiert und sich intensiv mit weiteren Drucktechniken, darunter Lithografien und Radierungen, beschäftigt. Overbeck erklärt selbstbewusst, dass seine Skulpturen auch kunsthistorisch gesehen einzigartig seien: bikolor in Bronze und Silber gegossen habe es noch nie gegeben. Seine Aufgabe sei es eben, die Kunstgeschichte ein paar Millimeter voranzubringen.

Overbecks Atelier ist staubfrei, weil er zurzeit mit Öl arbeitet. Eine den Raum dominierende grundierte Leinwand will er mir scherzhaft als Monochrom verkaufen. Links neben dem Eingang, erst sichtbar, wenn man aufmerksam herumgeht oder das Atelier verlässt, steht eine Skulptur aus Bronze, Ich höre nur auf mein Gefühl (2013). Ein weiblicher Akt liegt auf einem Sockel und ist mit diesem nur 23 Zentimeter hoch. Der Kopf hat sich in Rosenblätter aus Silber verwandelt. Die Beine sind angewinkelt und streben zum Gefühl, dorthin, wo eigentlich die Ohren sein sollten. Gefühl hört man eben anders.

Es ist nicht verwunderlich, dass Cyrus Overbeck, der zunächst in Teheran aufwuchs und 1979 zu seiner deutschen Familie fliehen musste, ohne jemals wieder zu seinem Kindheitsort zurückkehren zu können, danach sucht, was letztendlich bleibt. Seine deutschen Großeltern waren, im Gegensatz zu seiner opulent lebenden iranischen Familie, puristische Protestanten und gaben sich mit wenig zufrieden. Der deutsche Großvater war im Konzentrationslager gewesen und schätzte umso mehr Sicherheit und seine Ruhe. Overbeck prägten beide Lebensweisen ebenso wie beide Kulturen. Jahrelang drückte er sein Unverständnis, was Menschen anderen Menschen antun, wieso Menschen andere Menschen einsperren, sei es im Iran, Dritten Reich oder in der DDR, in düsteren Ölbildern aus. „Sadisten wird es immer geben“, stellt Overbeck nüchtern fest und fügt hinzu, dass die künstlerische Verarbeitung von Krieg und Leid, vom Wahnsinn des Lebens, ihm überhaupt erlaubt habe, fröhlich zu sein. Und dann, 1999, folgte er der Liebe ins kalifornische Carlsbad. „Alles war zu schön und die Avocados wuchsen in unserem Garten. Da konnte ich keine Kreuzigungen mehr malen“, klagt er und lacht wieder einmal so laut, dass man es auch auf der Straße hört.

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Cyrus Overbeck in seinem Atelier, Foto Michael W. Driesch

Meiner Bitte folgend, die in seinen Werken häufig auftretenden „divergierenden Ornamente“ zu erläutern, zieht Overbeck, der drei Jahre in Esens als Gymnasiallehrer Deutsch, evangelische Theologie, Kunst und Geschichte unterrichtet hat, zum Vergleich die KNG-Kongruenz heran: In einem Satz dürfen Kasus, Numerus und Genus nicht divergieren, ansonsten liegen Grammatikfehler vor. Oder aber, im Fall von Overbecks Ornamenten, bildnerisch dargestellte Fragen nach dem, was den Menschen prägt. Overbeck führt den Gedanken mithilfe einer weiteren Metapher fort: In seiner Kunst setze er die Hardware, den Menschen, in eine andere Software, das heißt, in einen anderen sozialen oder geografischen Kontext, als dieser sich normalerweise befinden würde. So entstehen beispielsweise Serien von Farbholzschnitten amerikanischer Pin-ups mit Hunden und orientalischen Ornamenten. Letztendlich, und auch das hat Overbeck während seiner Lehrtätigkeit durch, ich zitiere, „Volkskontakt“ gelernt, bewege alle dasselbe: Liebe. Nur die Art und Weise, wie danach gesucht werde, ändere sich.

Cyrus Overbeck hat keine Angst davor, Schmetterlinge und Pink in seine Kunst zu integrieren: Er kombiniert sie mit existenziellen Themen, wodurch sich Realität und Mystik überlappen und metaphysische mit irdischen Zusammenhängen miteinander in Dialog treten. Überhaupt scheint Overbecks Leben von scheinbarer Divergenz geprägt zu sein: intellektuelles Wissen gepaart mit Herzensbildung, Christentum mit Islam, reales Abbild mit Ornament, intensive Leidenschaft mit radikalem Loslassen. Overbeck steht offenbar mit beiden Beinen auf dem Boden und empfindet doch die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Er äußert sich in einem Katalog wie folgt: „Als Künstler interessiert es mich nicht, wie viel Energie ich in etwas gesteckt habe. Wenn ich so denken würde, müsste meine Kunst schlecht werden. Ich muss immer im Jetzt entscheiden und meine Zukunft suchen.“

Von 1988 bis 1995 arbeitete Cyrus Overbeck für Eva Pankok, machte sowohl Führungen über ihren Vater Otto als auch das Katzenklo sauber und ließ sich mit Kunst bezahlen. Außerdem transkribierte er Otto Pankoks Tagebücher und dessen Briefe aus dem Ersten Weltkrieg, um schließlich die einzige Biografie des deutschen Expressionisten zu schreiben. Stolz erinnert sich Overbeck, dass das Mülheimer Stadtmuseum das erste Museum gewesen ist, das sowohl Pankoks als auch seine eigenen Arbeiten gekauft habe. Und wenn Düsseldorf kaufe, dann kaufe auch Köln und dann eben auch die U.S.A. Klingt wie eine Milchmädchenrechnung. Bei Overbeck geht sie auf: Seine Arbeiten befinden sich unter anderem im Wilhelm Lehmbruck Museum, im Stadtmuseum Düsseldorf, in der Sammlung Volksbank Esens, der Kunsthalle Emden, der Kunstsammlung der Stadt Köln und im B’nai B’rith Museum, Washington D.C.

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Cyrus Overbeck, Foto Michael W. Driesch

Im März dieses Jahres wurde Overbeck als einer von wenigen bildenden Künstlern an der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste aufgenommen und ist nun eines von circa 1.500 Mitgliedern, zu denen 29 Nobelpreisträger wie beispielsweise Michail Gorbatschow und andere bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Philosophie, Religion und Kunst zählen. Das Ziel dieses Wissenschafts- und Kulturnetzwerkes ist die Förderung von Grenzen übergreifender Toleranz durch wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung. Große Ziele, die gut aussehen und denen wohl jeder zustimmen würde. Aber wie kann das konkret aussehen? Was kann die bildende Kunst leisten, das Wissenschaft, Politik und Wirtschaft nicht vermögen?

Durch ihre gesellschaftliche Sonderstellung stehen Künstler für bestimmte Werte, die sich bereits durch ihre Lebenseinstellung manifestieren. Dabei gibt es Künstler, die in ihrer eigenen Welt leben, ohne sich um ihre Umwelt und andere Künstler zu scheren. Die schaffen, um zu verkaufen. Overbeck dagegen trennt ganz klar zwischen seiner Kunst und dem Markt und trägt bewusst die Verantwortung dafür, geistig offenzubleiben und anderen zu geistiger Offenheit zu verhelfen. „Kunst ist eine Zumutung, sie irritiert auf liebevolle Weise“, sagt er. Um immer wieder zu verstehen, dass beispielsweise Gesundheit oder Sicherheit nicht selbstverständlich sind, bedürfe es der Kunst, die einen wach rüttelt, Denkanstöße liefert, zu einer Innenschau des eigenen Selbst verhilft.

Ist es Lebensklugheit oder Anmaßung, als er im Anschluss davon spricht, dass nur acht Prozent der Bevölkerung für anspruchsvolle Kunst empfänglich sind? Overbeck bedauert, dass sich nur wenige auf diese Fremdsprache einließen, wenige ihre optischen oder haptischen Reize als Einstieg nutzten, Fremdes, ohne es womöglich zu verstehen, akzeptierten. Ich frage Overbeck, ob die restlichen 92 Prozent tatsächlich nicht erreicht werden könnten. Doch, antwortet er, als fremd bestimmte Masse 100 Jahre später bei Ikea. Kunst habe etwas mit Bildung zu tun, und damit meine er nicht eine berufsbezogene Ausbildung, sondern vielmehr beispielsweise die Fähigkeit, ein von Walter Gropius entworfenes Gebäude zu erkennen. So gesehen scheint acht Prozent eine ziemlich optimistische Zahl zu sein.

Seit 2013 hat Cyrus Overbeck sein Atelier in der Hermannstraße 38 in Flingern. Nachdem er ein drei viertel Jahr versucht hat, morgens aufzustehen, keinen Wein zu trinken und spätestens um 21 Uhr Feierabend zu machen, hat er sich wieder einem impulsiven Lebensrhythmus hingegeben. Dazu gehört auch, keine festgelegten Arbeitszeiten zu haben, den Duft der Platanen in sich einzusaugen oder die Kö zu spüren und sich vorzustellen, dass Otto Pankok vor 90 Jahren dort entlang gelaufen ist. Während er sich eine Zigarette ansteckt, erklärt Cyrus Overbeck, dass Künstler durch ihren Lebensstil auch zeigten, dass man keine Angst zu haben braucht, denn unter Angst könne man sich nicht entfalten. Wer weiß, in welchem Jetzt er als Nächstes eine divergierende Richtung einschlägt.

 

Galerie Bruno Kehrein – Cyrus Overbeck, bis 08.14

 

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